370 Meter, Regen am gelaufenen Band und Tiramisu artigianale

Der Plan war recht einfach: Eine Woche dem Herbst in Deutschland entfliehen und am Gardasee in spätsommerlicher Atmosphäre auf ein paar Highlines la dolce vita genießen. Doch wir hatten die Rechnung ohne Kälte und Nässe gemacht. Und so blieb es beinahe nur ein „Sommertagstraum“.

Die Idee nimmt Gestalt an

Die Geschichte beginnt eigentlich im Jahr 2023. Im Sommer 2023 erkundete Rudi während seines Italien-Urlaubs mögliche Spots rund um den Gardasee. Es ging darum, die besten Orte für Highlines zu finden – mit dem perfekten Panorama aus Bergen, Wasser und Sonne. Die Wahl fiel schließlich auf das Tal des Ponale Flusses in der Nähe des Dorfes Pregasina. Der Zugang dort war vergleichsweise einfach und die Gegend bot Möglichkeiten für kürzere Lines – ideal für ein abwechslungsreiches Highline-Abenteuer.

Als Zeitpunkt für das Projekt legten wir uns im Verein auf Oktober 2024 fest, denn das Frühjahr war für viele zu früh, der Sommer schien zu heiß, während die Herbstferien früh im Jahr und damit günstig lagen. Mehr als ein Jahr blieb also Zeit für die Planung. Doch die letzten Feinabstimmungen passierten wieder auf den letzten Drücker. So gab es bis kurz vor knapp einige Fluktuationen bei denen, die mitkommen konnten, weil einige „ihre Termine nicht unter Kontrolle“ hatten oder für den Profit anderer arbeiten mussten. Am Ende bestand das Team aus Flo, Francis, Johann, Lars, Pablo, Philipp und Rudi – ein bunter Mix aus Leipzig, Ravensburg, Radolfzell und einem Dorf in der Nähe von Schwäbisch Hall.

In der Runde entschieden wir uns zudem noch kurzfristig dafür, Windsäcke und Signallichter mitzunehmen, um sie an einer zweiten, parallel gespannten Schnur für die Luftraumsicherheit aufzuhängen. Das Material hierfür liehen wir uns bei den Schweizer Slackline-Kollegen aus. Das Problem: Das meiste davon blieb im Zoll hängen. Nur eine Signallampe kam rechtzeitig an.

Und dann waren da noch die eher bescheidenen Wetteraussichten.

Nasser Start

Absagen oder umplanen waren aber keine Option mehr. Am 3. Oktober, einem regnerischen Tag der Deutschen Einheit, machten sich Flo, Francis und Rudi also auf den Weg Richtung Süden, während die anderen am nächsten Tag folgten. Zwischen Leipzig und Gardasee lagen endlose Autobahnkilometer, zahllose Podcasts und ungesunde Mengen an Snacks. Die Ankunft in Italien war ebenso verregnet wie die Abfahrt – nur noch einmal deutlich kühler. Der erste Tag beschränkte sich daher auf eine kurze Wanderung zum geplanten Spot und einen ausgiebigen Saunabesuch, bevor der Rest des Teams ankam.

Aufbau der ersten Line

Am Samstag stand der Aufbau der ersten Line an. Das Herzstück des Projekts. 370 Meter lang und ca. 200 Meter über dem See. Mit Blick auf Riva del Garda, Arco und das gesamte nördliche Ufer des Gardasees. Und das Wetter spielte zum Glück mit.

Nach einem etwas behäbigen Morgen mit zu viel Gewissheit, dass alles schnell von der Hand gehen würde, schleppten wir das ganze Material zu den Ankern und begannen mit der Arbeit.

Um hier schon mal die Antwort auf eine der am häufigsten gestellten Fragen der kommenden Tage vorweg zu nehmen: „Wir haben das Band mit einer Drohne da rüber bekommen!“. Und um genau zu sein: Zuerst wurde eine spezielle Angelschnur mit der Drohne zur anderen Seite geflogen. An dieser Angelschnur wurde eine dünne Reepschnur nachgezogen. An dieser Reepschnur wurden dann zwei weitere Schnüre über das Tal geführt: Eine „Vorhang-Leine“ und eine „Zug-Leine“ mit denen das Slackline-Band mit Karabinern wie ein Vorhang über das Tal gezogen wurde.

Zuvor mussten wir uns aber noch auf die Ankerpunkte einigen, auf einer Seite vier Kletterhaken einbohren und die Anker anschließend bauen. Das wichtigste Werkzeug dabei: Genau, ein Fahrrad! Weil wir nicht sonderlich sorgfältig geplant hatten, welches Material an welcher Seite notwendig war, mussten wir viel Kram hin und her schaffen. Die meisten dieser Kurierfahrten übernahm Francis mit ihrem Gravelbike, wobei sie jedes Mal mit mehreren Kilo Gepäck etliche Höhenmeter auf der Serpentinenstrecke von Anker zu Anker überwand.

Die zweite Herausforderung war der Hammer! Denn niemand hatte einen Hammer eingepackt, um die Kletterhaken in die Bohrlöcher zu klopfen! Und weit und breit war kein Hammer aufzutreiben. Darum feierte am Ende der gute alte Faustkeil ein Revival. Nicht gerade präzise, aber er erfüllte seinen Zweck.

Die dritte und letzte Herausforderung an diesem Tag wurde der Einbruch der Dunkelheit. Oder vielmehr die mangelnde Anzahl an Stirnlampen. Während der Aufbau doch länger dauerte als erwartet, ging uns langsam aber sicher das Licht aus. Und nur drei von sieben Leuten hatte an Stirnlampen gedacht. Trotzdem entschieden wir uns, die Line fertig zu riggen. Dazu musste noch das Highline-Band von der Vorhang-Schnur befreit und die Signalleine aufgehangen werden. Rudi erklärte sich zu dem Kraftakt bereit, im Dunkeln über die Line zu rollen, dabei die Karabiner des Vorhangs einzusammeln und gleichzeitig die Signalleine hinter sich herzuziehen. Wobei an letzterer zeitgleich die Signallampe sowie 20 Warnwesten, die Francis als Ersatz für die Windsäcke besorgt hatte, eingeknotet werden mussten. Nicht zuletzt stellten sich noch ein paar Büsche quer und wollten die Signalleine nicht ohne weiteres passieren lassen. Es gibt wahrlich schöneres, als bei kaltem Wind im Dunkeln eine schwarze Schur aus einem Busch am Abgrund zu fummeln. Aber das sind die kleinen Abenteuer bei so einem Projekt. Und umso schöner ist es, wenn das Band danach hängt.

Zwei Tage Highlinen und Highlinen erklären

Am Sonntag nahmen wir die letzten Handgriffe an der langen Line vor und bauten eine zweite auf. Mit „nur“ 140 Metern Länge und knapp 40 Metern Höhe in einem Becken seitlich des Ponale-Tals gelegen war sie nicht ganz so spektakulär wie die erste, bot aber trotzdem einen atemberaubenden Blick auf den Gardasee. Durch das deutlich schwerer zu laufende Band bot sie zudem eine großartige Trainingsmöglichkeit für alle, die sich noch eine Packung holen wollten (und alle wollten das).

Am Morgen erfuhren wir allerdings noch, dass knapp 400 Meter höher, hinter dem nördlichen Berg unseres Projekts am Cima Capi zwei weitere, noch längere Highlines hingen. Bei der Planung hatten wir noch überlegt, dort aufzubauen. Das wäre auf jeden Fall eine Überraschung gewesen, das gesamte Material dorthin zu schleppen, um dann festzustellen, dass dort schon jemand fleißig war. Noch schlimmer wäre es allerdings gewesen, wenn jemand schon den von uns ausgewählten Spot besetzt hätte…

So konnten wir aber loslegen. Zwei Tage ohne Regen lagen vor uns. Lars, der als erster die lange Line ohne abzusetzen lief, durfte sie traditionsgemäß benennen, gab die Entscheidung aber zur Beratung in die Gruppe zurück. Weil der Spot im Sommer ausgekundschaftet wurde und wir uns alle an diesen kalten Herbsttagen ein bisschen mehr Wärme ersehnten, fiel die Entscheidung schnell auf „Sommertagstraum“. Das passte auch deshalb, weil das nahegelegene Café Ponale Alto Belvedere der köstlichen (und dazu sehr günstigen) Kaffee und unverschämt deliziösen Tiramisu servierte.

Ohne Pause nutzten wir abwechselnd die Lines. Und alle, die gerade nicht balancierten, erklärten den zahllosen Radfahrern und Wanderern, die vorbei kamen und staunend stehen blieben, was wir hier eigentlich machten. Ob wir irgendwie zur Weltspitze in dem Sport gehörten. Ob wir das im Zirkus machten. Ob wir Profis seien. Ob wir verrückt seien. Und natürlich: wie wir das „Seil“ da rüber bekommen haben. Das übliche eben… Mit den Profis lagen die Leute allerdings gar nicht so falsch – zumindest zeitweise, denn Friedi Kühne (wirklich ein Profi) wusste von unserem Plan und kam uns während der zwei Tage besuchen.

Der Dienstag war durchgehend verregnet, und wir verbrachten den Tag mit Lesen, Schlafen und Saunieren. Unter unseren Tarps tauschten wir Geschichten aus, übten Knoten und versuchten, uns vom Regen nicht die Stimmung verderben zu lassen.

Regenpause und letzter Tag

Da Mittwoch der letzte regenlose Tag unseres Trips werden sollte, entschlossen wir uns, bei Sonnenaufgang bei den Lines zu sein und am Nachmittag abzubauen, um alles trocken einpacken zu können. Bis 16 Uhr gab es noch mal das volle Programm: Mit Slacklinen, Rettungsübung und Tiramisu.

Der anschließende Abbau ging schnell von der Hand. Nach drei Stunden waren wir fertig und schmissen mit Einbruch der Dunkelheit die Materialtaschen, Rucksäcke und Beutel in die Autos.

Ab da versank alles langsam im Regen. Auf dem Zeltplatz spannten wir noch die Schnüre der Tarps nach, verstauten alles in den Zelten und hörten zu, wie die Regentropfen immer heftiger fielen. Das prasselnde Geräusch blieb die ganze Nacht und wurde auch am Morgen nicht besser. Mit hängenden Köpfen klaubten wir unsere nassen Sachen auf, fischten die Erdnägel aus dem Boden, falteten die tropfenden Zelte zusammen, warfen alles in die Autos, um so schnell wie möglich dem Dauerregen zu entfliehen.

Die Fahrt zurück nach Deutschland war eine wilde Mischung aus Müdigkeit und Erleichterung im Trockenen zu sitzen. Doch wieder lag ein unvergesslicher Vereinsausflug hinter uns. Am Ende war es nicht nur das spektakuläre Panorama und die wunderbare Gemeinschaft, sondern auch die Erfahrung, die Sintflut überstanden zu haben, die diesen Ausflug zu einem wunderbaren Erlebnis machten.